Große Momente der Kunst und kleine Tücken der Technik

Bob Dylan in Concert / Bozar, Brüssel, 26.+27.10.2025

17. November 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Dreimal war Bob Dylan im altehrwürdigen Bozar (Palais des Beaux-Arts) in Brüssel. Das erste und zweite Konzert am 26. und 27. Oktober hat der Chronist beobachtet. Dylans „Rough And Rowdy Ways“-Tour bietet auch diesen Herbst jeden Abend dieselbe Setlist, die ihren Schwerpunkt auf die Songs von Dylans gleichnamigem Album von 2020 legt. Und dennoch sind die Konzerte nie gleich.

Text: Thomas Waldherr

Zuerst einmal: Ja, Dylan schlurft in Brüssel schon etwas staksig zu seinem Platz hinter dem Stutzflügel. Aber da angekommen, entfaltet er sich sichtlich und legt eine Kraft und Dynamik an den Tag, die weitaus größer ist als bei den drei Frankfurter Konzerten im letzten Jahr. Auch ist der Ton lauter aufgedreht als im vergangenen Herbst. Allein diese beiden Umstände verleihen den Konzerten schon mehr Power.

Dylan nutzt diese Faktoren zu zwei richtig guten Konzerten, in denen er scheinbar noch entschiedener seine Songs dekonstruiert als ohnehin schon. Er nimmt sie regelrecht auseinander. Da bleibt kein Stein auf dem anderen. Bekannte Melodielinien paaren sich mit irrwitzigen Rhythmusfolgen, bekannte Texte finden sich in ganz neuen musikalischen Kleidern wieder. Dass dies nicht zu Abstürzen und Totalschäden führt – wie dies bei Dylan durchaus auch immer wieder passieren kann – liegt an der fast überbordenden Souveränität und der immens großen Spielfreude, die der Liedpoet an diesen Abenden in der belgischen Hauptstadt an den Tag legt.

Captain Bob hat alles im Griff. Außer der Mikrofontechnik, die beim ersten Konzert erst beim zweiten Song so richtig funktioniert und in der Mitte auch noch mal kurz ausfällt. Der Musiker führt zudem an beiden Abenden ein paar Kämpfe mit dem Mikrofonständer, der wohl nicht immer so will wie er. Aber das sind Marginalien gegen die Momente wirklich großer Kunst, die einem bei den Bob-Dylan-Konzerten in Brüssel begegnet sind.

Bob Dylan live in Kilkenny, 2019 (Foto: Raph_PH, Wikimedia CC BY 2.0)

Das Konzert beginnt wie zuletzt üblich bei der „Rough And Rowdy Ways“-Tour mit „I’ll Be Your Baby Tonight“, das zwar von einem feinen, federnden Riff getragen wird, im Herbst 2025 aber nicht die Komplexität und Spannung besitzt wie beispielsweise 2022. Richtig los geht es dann mit „It Ain’t Me Babe“. Dylan zupft an beiden Abenden mit dem Rücken zum Publikum auf der Gitarre, ehe er sich umdreht und seine „Ich bin’s nicht“-Hymne gesanglich rezitiert. Hier ist die Grundmelodie noch zu erkennen, während beim folgenden „I Contain Multitudes“ das eingangs erwähnte Konzept der Dekonstruktion nun end- und mustergültig seinen Eingang ins Konzert findet. Auch „False Prophet“ hat sich melodisch etwas vom Original entfernt.

Erster großer Höhepunkt: „When I Paint My Masterpiece“. Wieder zupft Dylan mit dem Rücken zum Publikum an seiner Gitarre, doch hier wird nun eine Form daraus: Die Zuhörerschaft darf der Band beim Jammen zuschauen. Immer wieder wird die Rhythmuslinie von „Istanbul (Not Constantinople)“, über die Dylan seinen eigenen Klassiker singt, von seiner „Gang“ variiert. Und alle scharen sich um den Meister, als wäre die Menschenmenge vor der Bühne gar nicht da, ehe der sich dann endlich umdreht und den berühmten Text anstimmt. Natürlich gibt es wieder Szenenapplaus für die Nennung Brüssels im Text, und Dylan singt mit Verve das Lied über die ewige Unvollkommenheit der Kunst. Wunderschön.

Überhaupt merkt man ihm an, welche Songs ihm besonders wichtig sind. „I’ll Be Your Baby Tonight“ oder „To Be Alone With You“ werden so ein bisschen weggesungen, andere Stücke lebt er richtig aus. Ein weiterer Höhepunkt der Konzerte ist „Key West (Philosopher Pirate)“. Dylan hält keine Reden und gibt keine politischen Statements ab. Aber gerade „Key West“ und „Mother Of Muses“ sind unmissverständliche Hymnen an ein Amerika, das so ganz anders ist als das der reaktionären Trump-MAGA-Bewegung. Key West, der südlichste Ort Floridas, ist ein Sehnsuchtsort des Musikers. Hier konnten die Beatniks Ginsberg, Corso und Kerouac Menschen sein. Hier hatten der schwule Tennessee Williams und der schwarze Louis Armstrong Freiheit und Luft zum Atmen. Hier herrschte ein liberales und weltoffenes Klima. Key West ist der Gegenentwurf zu Trumps Mar-a-Lago, ebenfalls Florida. Denn dort – rund 230 Meilen nördlich – wohnen Dummheit, Herrschsucht, Eitelkeit, Protzerei, Prahlerei und Menschenfeindlichkeit.

Banner Bozar Bob Dylan 2025

 

In „Mother Of Muses“ singt Dylan, dass der Sieg der amerikanischen und sowjetischen Generäle über den Faschismus Elvis und Martin Luther King erst möglich gemacht hätten. Trumps Fanbase der extremen Rechten sieht das sicher anders. Also nicht (ver)zweifeln, weil der Meister nicht reden will. Hört seine Lieder, dann wisst ihr wo er steht!

Trotz derselben Setlist und demselben Konzept unterscheiden sich die beiden Konzerte. In Nuancen zwar, aber dennoch. Im ersten zeigt Dylan sich mit fast überbordender Spielfreude und Kreativität. Er lebt sie am Klavier aus. Er haut in die Tasten, manchmal auch einhändig. Das ist das Qualitätskriterium für seine Mitmusikanten. Sich nicht selbst in Soli verlieren wollen, sondern das musikalische Netz stricken, das Dylan absichert, seine artistischen Ideen auszuleben. Und dafür muss man hellwach und präzise sein. Und das sind die Herren Tony Garnier am Bass, Anton Fig an den Drums sowie jeweils an der Gitarre Doug Lancio und Bob Britt wirklich.

Im ersten Konzert lässt Dylan die Mundharmonika fast das ganze Konzert über links liegen und tobt sich am Klavier aus. Im zweiten dagegen greift er mehrmals zu dem Instrument und bläst kurz den Ton an, der gespielt wird. Und er spielt sie bei „When I Paint My Masterpiece“, während er – anders als am Vorabend – bei „Goodbye Jimmy Reed“ auf sie verzichtet. Auch am zweiten Abend ist er spielfreudig und versucht die ihm vorgegebenen Räume für Klaviersoli zu nutzen, doch immer wieder sitzt er da, als suche er nach der Eingebung. Dann beschränkt er sich darauf, im Sound mitzuschwimmen.

Für mit die stärksten Momente sorgen an beiden Abenden die beiden Klassiker „Desolation Row“ und „It’s All Over Now, Baby Blue“. Hier legt Dylan gesanglich und performativ alles hinein. Die Songs scheinen ihm wirklich wichtig zu sein. Aber ist „Baby Blue“ wirklich als Zeichen eines bevorstehenden Tourendes zu werten, wie manche schon unken? Da Dylan, wenn er einmal in Fahrt ist, in diesem Herbst dynamischer und spielfreudiger denn je wirkt, kann das – sollten keine gesundheitlichen Probleme im Weg stehen – nahezu ausgeschlossen werden. Dem Mann macht die Bühnenarbeit sichtlich Spaß, immer wieder steht er auf für ganz zart angedeutete Verbeugungen und einem freundlichen Blick ins Publikum.

So vergehen die jeweils fast zwei Stunden wie im Flug, und am Ende der Konzerte nimmt Bob Dylan bei „Every Grain Of Sand“ die Mundharmonika und bläst sie im letzten Stück zum Abschluss kraftvoll und laut wie selten. Die Halle tobt, das Publikum gibt Standing Ovations. Chapeau, Monsieur Dylan!

www.bobdylan.com

www.bozar.be

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